Mein letzter Flug
Von Siegfried Elsässer (freundlicherweise zur
Verfügung gestellt von Thomas Elsässer).
Eine Geschichte, wie sie sich ähnlich hundertfach
auch in Schleswig-Holstein ereignet bat - egal auf welcher
Seite gekämpft wurde...
Siegfried Elsässer war in Gilze-Rijen bel der
Ergänzungsgruppe/NJG 2 -in Gelsenkirchen/Deelen bei 1.
Gruppe/NJG 2 -in Couloummiers bei 2. Gruppe/NJG2.
Invasion 1944. Eine warme Augustnacht liegt über
dem Einsatzhafen Coulommiers. Für 1.00 Uhr ist der
Start für die II. Gruppe meines Nachtjagdgeschwaders
befohlen worden. Es soll ein Sonderauftrag im
Invasionsgebiet geflogen werden. Wie vorausgegangene
Aufträge dieser Art gezeigt haben, waren diese
Einsätze wenig erfolgreich und stets mit harten
Verlusten auf unserer Seite verbunden. Diese Aufträge
passen so wenig in den Rahmen unserer eigentlichen
Nachtjagdtlttigkeit hinein. Aber Befehl ist Befehl und wird
dLirchgeführt. Der Divisionskommandeur fliegt selber
mit. Trotzdem lastet auf allen Besatzungen, ob jung oder
alt, eine eigenartige Schwere, Bedrücktheit und dunkle
Ungewissheit.
0.45 Uhr hürt man das Dröhnen und kurze
Warmlaufen der schweren BMW-Motoren unserer stolzen Ju 88.
Keine Wolke ist am Himmel zu sehen. Dafür sendet der
Mond sein helles Licht zur Erde herab. Vor einigen Tagen war
Vollmond. Wir Nachtjäger fürchten dieses grelle
verräterische Licht. Es ist zu hell. Manch einem jungen
Nachtjäger wurde dieses Mondlicht schon zum
Verhängnis. Die Bodenluke ist geschlossen. Alles ist
angeschnallt. Ich bremse kurz ab und gebe dem draußen
stehenden Wart das Zeichen zum Wegnehmen der
Bremsklütze. Noch ist keine Lampe auf dem großen
Platz durch einen Fingerdruck angezündet. Mein Funker
hat bereits Verbindung mit Boden-Bord aufgenommen. Ein
kurzes Aurieuchien meines Bodenscileinwerfers und wir rollen
zum Start, wo drei grüne Lampen zur Orientierung
stehen. Wir sind die erste Maschine am Start. Hinter uns
rollt die ganze Gruppe. Es ist so hell, daß man die
ganze Startbahn ohne Leuchtpfadbeleuchtung erkennen kann.
Wir starten dunkel, nur der Horizont brennt. Langsam schiebe
ich das Gasgestänge nach vorn, und mit urgewaltiger
Kraft ziehen uns die 3000 PS beider Motoren vorwärts.
140 Stunden haben uns die beiden Motoren treu begleitet und
uns immer zu einem sicheren Hafen zurückgebracht. Auch
heute singen sie wieder ihr altes und so vertrautes Lied des
ungestürten Laufes und des Gleichklanges. Noch rollt
die Maschine auf der Startbahn und bebt durch die
Erschütterungen im stabilen Fahrwerk. Dann ein leichtes
Ziehen am Ruder und wir sind vom Boden und der Erde
gelöst. In wenigen Sekunden sind das Fahrwerk und
wenige Augenblicke später auch die Landeklappen
eingefahren. Wir steigen sofort, nachdem die Motoren
gedrosselt wurden. Mein Funker, der gleichzeitig mein
engster Freund in der Gruppe ist, meldet sich bei der
Bodenstelle ab. Der Bordmechaniker, ein gewissenhafter
Unteroffizier, überprüft emsig und genau alle
Motorenüberwachungsgeräte und Instrumente. Sonst
herrscht grüßte Ruhe in der
Eigenverständigung unseres Bordgerätes.
Wir sind genau nach Westen hinaus gestartet und gehen
sofort auf Abflugkurs. Es geht in den Raum Avranches zur
Straßenbekämpfung. Wir steigen auf 3500 m
Höhe, andere Maschinen fliegen im Tiefstflug. Jeder
fliegt nach seinem Ermessen und nach seinen Erfahrungen.
Unser größter Feind ist die "Mosquito", also
unsere englische Konkurrenz. Bereits nach dem Start fliege
ich dauernd Abwehrbewegungen in der Form eines
ständigen Pendelkurses. Wir benbtigen dadurch etwas
mehr Zeit, aber diese Methode hat sich bisher gut
bewährt. Wir wissen ja selbst, wie schwierig es ist, an
einen feindlichen Bomber heranzukommen, der stündig
Kurswechsel vornimmt. Außerdem dient unser
Suchgerät gleichzeitig als Warngerät.
Ju 88 von Siegfried Elsässer
Unsere Maschine liegt keine Sekunde ruhig in der Luft,
sie schwimmt dauernd.
Wir müssen über eine Stunde anfliegen.
Kennfeuer und Funkfeuer dienen bei dieser guten Wetterlage
zur schnellen und leichten Orientierung. Über den
wirklichen Frontverlauf und über die Spitzen der weit
vorgedrungenen Panzerkeile des Feindes gab es auf dem
Gefechtsstand keine Unterlagen mehr. Dies war natürlich
für uns außerordentlich ungünstig. Etwa 50
km ostwärts Avranches kommen wir in schweres Flakfeuer.
Wir weichen nach links aus. Wenige Minuten später wird
in diesem Flakfeuer ein Kamerad von uns abgeschossen. Die
Maschine fliegt in brennendem Zustand noch einen Augenblick
geradeaus. Die Besatzung wird gewiss aussteigen künnen.
- Wir fliegen daraufllin in weitem Bogen um Avranches auf
St.Malo zu, um von Westen die Flaksperre zu durchbrechen.
Wir künnen die Küste und die vielen Ausbuchtungen
recht gut erkennen. Noch schweigt die gesamte Abwehr. Aber
kurz vor Erreichen der Küste setzt ein
mürderisches Abwehrfeuer ein, wir müssen
ostwärts von St. Malo stehen. Wir drücken mit
Fahrtüberschuss die Hdhe weg, um aus dem Bereich der
schweren Flak herauszukommen. Da empfängt uns bereits
die leichte Flak. Wir müssen nach rechts mit
Südostkurs abdrehen. Mit erhöhtem Ladedruck geht
es wieder auf 3500 m Hühe. Links von uns erkennen wir
einen großen Wald, der südlich von Avranches
liegen muss. An einigen Stellen dieses ausgedehnten
Waldgebietes schießt die feindliche leichte Flak ganz
erheblich. Dort müssen auch die Ausfallstraßen
von Avranches liegen. Wir beratschlagen gemeinsam den
Angriff. Wir wollen ans dieser Hühe im steilen Gleit-
und Sturzflug mit müglichst viel Fahrt auf diese
Stellungen hinunterstoßen und mit allen Rohren
hineinhalten. Die günstigste Anflugrichtung ist von
Südosten. Wir drehen bei, um genau anfliegen zu
können. In diesem Augenblick sehen wir 100-200 m tiefer
unter uns eine Maschine hindurchfliegen, deren Typ wir nicht
erkennen, es ist eine zweimotorige. Größte
Aufmerksamkeit in der Maschine. Mein Freund hängt
über seinem Such-und Warngerät. Er weiß, was
von semer gewissenhaften Arbeit abhängt.
Wir müssen noch 3-4 Minuten im Pendelkurs das
Waldstück anfliegen, die Entfernung weit,
außerdem ist das Entfernungsschätzen bel Nacht
und aus dieser Höhe schwierig. Nun ist es soweit, ich
gebe das Signal zum Wegdrücken und lege zu diesem Zweck
die Maschine für 3-4 Sekunden lang in eine gerade
Richtung, uni gut ansetzen zu können. In diesem
Augenblick höre ich ein leichtes Knacken in der
Maschine und glaube, dass mein Funker mit seinem
Zwillings-MG einige Schüsse herausgejagt hat, denn wir
hatten abgemacht, dass er beim Angriff selbst auch feuern
sollte. Da dies aber min noch lange nicht der Fall ist,
brülle ich durch die Eigenverständigung, was denn
in ihn gefahren sei. Alles spielt sich in Sekundenschnelle
ab. Ich hüre nur noch den Ruf von ihm: "Maschine von
hinten, die Mühle brennt". In der nüchsten Sekunde
ist es taghell in unserer Kabine. Automatisch erfolgt von
mir der Befehl: "Aussteigen." Die Maschine brennt im Rumpf,
wahrscheinlich der Rumpftank. Die beiden Motoren laufen noch
einwandfrei. Der Bordmechaniker hat sich blitzschnell
gedreht und gebückt, uni die Bola zu üffnen. Ich
habe mich bereits losgeschnallt und meinen engen Sitz halb
nach rechts gedreht. Der Bordmechaniker muss zweimal
zufassen, bis sich die Bola mit einem Luftstoß bffnet.
Der Unteroffïzier ist sofort in der Tiefe verschwunden,
dann folgt mein Funker im Hechtsprung hinterher. Mein Freund
Peter springt das erste Mal, aber er hat es gut geschafft.
Kaum ist er verschwunden, so folge ich ihm als letzter der
Besatzung ebenfalls mit einem Kopfsprung. Dabei bleibe ich
mit meinem linken Halbschuh einen Augenblick an der Trommel
einer 2-cm-Kanone hängen, wobei ich mir einen
Bluterguss zuziehe, wie ich spüter feststellte.
Peter Raupach und Siegfried Elsässer
Schätzungsweise hat das Abspringen der Besatzung
nur 1012 Sekunden gedauert. Drei Tage vorher hatten wir es
am Boden geübt und brauchten 6-7 Sekunden dazu.
Dann herrscht erldsende Totenstille uni mich herum.
"Ruhe", sage ich mir. Nicht so hastig am Fallschirm ziehen
wie vor einem Jahr. Wir waren ja hoch, es ist also gar keine
Gefahr vorhanden. Trotzdem ziehe ich nach 3-4 Sekunden, uni
müglichst auf engem Raum mit den Kameraden am Boden
anzukommen. Alles Denken und Handeln spielt sich in
Sekundenschnelle ab. Der Schirm wird sich schon üffnen.
Unsere Fallschirme sind gut, man kann sich auf sie unbedingt
verlassen. Ich greife zum Griff. Ein leichtes Rauschen
hinter mir, und schon ist der Entfaltungssto ß da. Ich
hänge am sicheren Schirm und bin von der brennenden
Maschine, der drohenden Gefahr, gelüst. Nur wenige
Sekunden sind seit dem Verlassen der Maschine vergangen.
Meine treue Maschine fliegt noch als Feuerball im
Geradeausflug weiter, sogar ohne Kurssteuerung. Ich
hüre den alten Klang meiner guten Motoren, die vom
Feuer noch nicht erfasst sind. Nur schwer kann ich mich von
dieser treuen Maschine trennen, all meine Gedanken sind ganz
bei ihr. Nur noch wenige Augenblicke und sie wird in die
Tiefe stürzen. Ich bin inzwischen tiefer gesunken. Eine
Minute ist mindestens vergangen. Plützlich macht der
Feuerball eine starke Bewegung. Die Maschine ist über
die linke Fläche abgeschmiert und stürzt nun mit
rasender Fahrt wie ein Komet in die Tiefe. Aufschlagbrand in
einem Waldstück. Durch die Helligkeit war für
einen Augenblick alles zu erkennen. AUS diesen Trümmern
wird man nichts mehr bergen künnen, auch der Feind wird
nichts Wertvolles herausholen künnen. Diese
Naturkräfte haben volle Arbeit geleistet.
Erst jetzt komme ich so richtig zur Besinnung. Es ging
ja auch alles so rasend schnell. Plützlich erhebt sich
die große Frage, pendelst du über Feind- oder
Freundgebiet ? Wehe, wenn das erstere der Fall ist. Dann
wäre ja alles vorbei. Jeder Einsatz und vor allen
Dingen die herrliche, ewigschüne Fliegerei. Aber ich
bin Optimist. Es wird gewiss noch eigenes Gebiet sein, dits
mich in wenigen Minuten aufnehmen wird.
Eigenartigerweise macht mein Fallschirm diesmal ganz
unsympathische Pendelbewegungen. Diese sind hier nun
wirklich nicht mehr am P1atz. Dauernd muss ich die
Fangleinen greifen, um dieses Pendeln abzuschwüchen,
was mir auch jedes Mal gut gelingt. Lüngst kann ich
unter mir die Mondlandschaft in großen Umrissen ganz
gut erkennen. Nur wenige hundert Meter südlich von mir
verlüuft eine große Strabe in Ostwestrichtung.
Also, sofort nach Süden ablaufen, um auf diese
Straß in Das Gehirn arbeitet in solchen Fällen
sehr schnell. Wo mag wohl meine übrige Besatzung
runterkommen? Wir künnen nicht weit voneinander auf dem
Boden ankommen, denn wir sind ja schnell hintereinander
abgesprungen. Hoffentlich treffen wir uns, damit wir uns
gemeinsam ostwürts in Marsch setzen künnen und
notfalls bei Verletzungen Hilfe leisten. Nun kommt die Erde
auch erheblich näher. Da sehe ich auch plbtzlich einige
hundert Meter unter mir und etwas nach hinten versetzt einen
Fallschirm pendeln. Das kann nur Peter sein! Ich rufe einige
Male ganz laut seinen Namen. Aber keine Antwort. Er
konzentriert sich wohl schon auf die Landung. Und richtig,
genau auf einer Viehweide mit Kühen geht er herunter.
Sein Fallschirm ist bereits eingefallen. Da wird es auch
für mich höchste Zeit. Leider sehe ich unter mir
nur diese typische französische Heckenlandschaft mit
vielen Büumen. Unter mir sehe ich mit ziemlicher
Geschwindigkeit eine doppelte Baumreihe auf mich zukommen.
Sollte dits eine Straße sein? Wohl kaum! Ich brauche
mir auch keine weiteren Gedanken zu machen. Plützlich
rauschen links und rechts Zweige und Blätterwerk
vorbei. Dann ein harter schmerzhafter Aufschlag, und ich
sitze regelrecht auf der Erde. Mein erster Gedanke ist, dass
ich mir meine beiden Beine gebrochen habe oder sogar das
Becken, denn der Aufschlag war üußerst
schmerzhaft. Nun sehe ich auch meine nächste Umgebung
und die Ursache meiner ungünstigen Landung. Ich bin
genau auf einer schrügen Büschungswand eines
trockenen Grabens aufgeschlagen, der auf beiden Seiten mit
Bäumen besetzt ist. Ich wage kaum aufzustehen. Es
verursacht mir auch erhebliche Schmerzen, besonders im
linken Fuß-und Kniegelenk. Wahrscheinlich bin ich
durch die schräge Büschung nur mit dem linken Bein
aufgekommen und habe mir dabei zwei Blutergüsse
zugezogen. Konnte sich der Fallschirm nicht im Astwerk eines
Baumes verfangen und somit den Stoß abdümpfen?
Nein, er tat mir den Gefallen nicht.
Nun heißt es tippeln und eine feste Straße
mit einer baldigen Fahrgelegenheit finden. Denn in diesem
Zustand werde ich nicht weit kommen. Ich löse meinen
Fallschirmgurt, werfe die Schwimmweste und den
grüßten Teil meiner Leuchtmunition fort. Ich
trenne mich ja nur ungern von dem schönen Fallschirm,
aber es ist alles zusätzlicher Ballast, und ich kann
mich ja kaum selbst fortbewegen. Außerdem ist
grüßte Vorsicht am Platze, denn ich kann mich mit
diesen Dingen nur unnötig verraten. Aus diesem Grunde
schieße ich auch keine Leuchtmunition, um vielleicht
damit eine Verständigung und ein Zusammentreffen mit
meinen Kameraden zu erzielen. Nur kein unnötiges
Geräusch verursachen! Die fallschirme werden bestimmt
nicht bemerkt.
Es ist genau 3,00 Uhr morgens. 2,45 Uhr schaute ich
zum letzten Mal in der Maschine auf meine Armbanduhr. Wenige
Minuten später müssen wir abgeschossen worden
sein. Zu meinem grfflen Erstaunen und leichtem Entsetzen
höre ich jetzt im Nordwesten bzw. Norden Kanonendonner.
Also bin ich doch nicht allzu weit vom eigentlichen
Invasionsgebiet entfernt. Die Panzerkeile waren ja bereits
weit nach Süden und Südosten vorgetrieben.
Vorsicht ist auf jeden Fall geboten. Nur nicht in
Gefangenschaft geraten. Nur schwer kann ich mich in dieser
Heckenlandschaft vorarbeiten. Ich übersteige einige
heckenartige und stark bewachsene Ackergrenzen und
Feldraine. Durchlaufe einen kniehohen nassen Kleeschlag.
Dann stoße ich auf einen schmalen Feldweg, der mich
nach wenigen hundert Metern an ein verträumtes kleines
Gehöft heranbringt. Ein Hund schlägt an, schnell
welter, bald muss ja die große Straße kommen, wo
ich auch besser laufen kann. Links von mir höre ich
plötzlich Kühe brüllen. Sollte von dort einer
meiner Kameraden kommen? Ich rufe beide beim Namen, aber
keine Antwort.
Da mündet der schmale Feldweg in die lang
ersehnte StraBe ein. Es ist" eine gute Asphaltstraße.
Mit meinem Marschkompass stelle ich sofort den Verlauf der
Straße fest, 80 Grad zeigt mir der Kompass an. Also,
drauflosmarschiert. Aber selbst auf dieser glatten StraBe
fällt mir das Laufen doch sehr schwer. Die StraBe
verläuft fortwährend in kleinen Windungen, so dass
ich standig mit dem Kompass die Marschrichtung
überprüfen muss. Meine Taschenlampe tut dabei gute
Dienste. Allerdings ist jedes Anhalten mit Schwierigkeiten
verbunden. Denn nach jedem kurzen Halten sind meine
Blutergüsse steif geworden, so dass ich beim
Weitermarschieren kaum von der Stelle komme. Nach einer
halben Stunde passiere ich den ersten kleinen Ort. Am
östlichen Ausgang der Ortschaft finde ich endlich den
so lang gesuchten Wegweiser mit zwei größeren
Ortsangaben: Fourgenes-Coranton.
Beides Orte, die mir auch nicht viel sagen, denn ich
kann mich kaum erinnern, von den beiden in einem
Wehrmachtsbericht gehört zu haben. Nach der
Entfernungsangabe befinde ich mich genau in der Mitte dieser
beiden Ortschaften, die ungefähr 40 km auseinander
liegen. Coranton liegt davon im Osten. Bisher bin ich noch
keinem Menschen begegnet. Nur einige ausgebrannte Autowracks
sah ich am Straßenrand liegen. Die typischen Opfer der
feindlichen Tiefflieger. Trotzdem möchte ich nun
endlich Gewissheit haben, ob ich mich bereits im feindlich
besetzten Gebiet befinde, denn dann müsste ich mich bei
Anbruch der Morgendämmerung sofort in die Büsche
schlagen. Ich nehme mir daher vor, im nächsten Ort
einen Franzosen aus dem Bett zu trommeln.
Inzwischen ist ein dicker Morgennebel aufgekommen, es
wird ganz empfindlich kühl, außerdem habe ich
noch immer nasse Füße von dem Gehndedienst. Die
Landschaft hat einen hügeligen Charakter angenommen,
durch den sich die StraBe mit allerlei Windungen
hindurchschlllngelt. Wenn mir nur das Gehen nicht so schwer
fallen würde. Endlich erreiche ich die näehste
Ortschaft. An einem nahe der StraBe gelegenen Häuschen
klopfe ich an die Fensterscheiben. Als erster meldet sich
ein kläffender Hund in der Stube, dann vernehme ich
eine verschlafene Frauenstimme. Mein Französisch ist
schlecht und lückenhaft. Mit allen Künsten
versuche ich herauszubekommen, ob hier schon der Amerikaner
oder Engländer durchgekommen ist. Mit einem klaren
"non, Monsieur" wird mir dies verneint. Ich atme erleichtert
auf und setze meine Wanderung fort. Damals hatte ich nicht
die geringste Ahnung und Kenntnis über die
Tätigkeit der "Marquis". Sonst hätte ich jede
Auskunft misstrauisch entgegennehmen müssen.
Nach anderthalb Stunden Marsch kann ich mich nur noch
schleppend fortbewegen. Ich benötige irgendein
Fahrzeug. Genau nach zwei Stunden- inzwischen ist es fast 5
Uhr morgens geworden- treffe ich auf eine große
Straßenkreuzung. Der Nebel ist erheblich dicker
geworden. Die Dämmerung hat hngst begonnen. Ich finde
ein großes Straßenschild, und lese darauf
soundsoviel Kilometer nach Le Mans.1n der nordwestlichen
Ecke der Straßenkreuzung steht etwas nach
rückwärts versetzt ein größeres
Gebäude mit einigen angrenzenden Gebäuden. Am
Hauptgebäude steht sogar eine Tür offert, in der
sich eine dunkle Gestalt bewegt. Vielleicht ist dort eine
deutsche Dienststelle, die mir helfen kann. Viel weiter
komme ich allein sowieso nicht. In fünf Meter
Entfernung tritt die dunkle Gestalt ans der Tür hervor.
Ich sehe den Lauf einer Maschinenpistole auf mich gerichtet.
Die Gestalt tragt einen eigenartigen Stahlhelm mit einem
weißen "MP" darauf. Mein erster Gedanke ist, dies
künnte irgend jemand von der französischen Miliz
sein, aber da habe ich mich schwer getäuscht. Ich
höre den ersten Anruf in englischer Sprache. Mir
läuft es eigenartig kalt über den Rücken-ich
stehe vor dem Feind. An eine Flucht ist in diesem Zustand
nicht mehr zu denken. Sie wäre zweck - und sinnlos.
Hinter dem Posten erhebt sich bereits eine zweite Gestalt.
Der Posten war auch ganz verdutzt. Ich höre nur noch
ein gestottertes "hands up", und für mich beginnt nach
meinem letzten Flug der Weg in die Gefangenschaft. Ob es
wirklich der letzte Flug meines Lebens gewesen ist,
weiß ich noch nicht. Ich hoffe es jedenfalls nicht.
Ich bin und bleibe eben Optimist.
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